Wo nichts mehr geht, fängt alles an*

Interview: Beate Berns

Carmen Hinrichs ist die Initiatoren des WNM Women’s Network Mallorca. Alles begann vor drei Jahren in ihrem Concept Store Trece13 in Artà. Aus lockeren Treffen im Laden bei Cava und Tapas wurde die „Dienstagsrunde“. Diese Lunchtreffen waren ein voller Erfolg. Per Mundpropaganda kamen immer mehr Frauen, die teilweise oder permanent auf der Insel leben, dazu. Es entwickelte sich ein loses Netzwerk, in dem praktische Tipps ausgetauscht, gemeinsame Golfrunden, Wandertouren oder Verabredungen zum gemeinsamen Besuch von Kulturevents geplant wurden. Im Frühjahr 2023 hatten auf diese Weise bereits 120 Frauen zusammengefunden. Eine wertvolle Gemeinschaft, in der noch viel mehr Potential steckt, befand Carmen und beschloss das Ganze auf professionelle Füße zu stellen. Die Idee für das WNM Women’s Network Mallorca war geboren und wird seitdem von einem engagierten Beraterteam und den vielen Mitgliedern – es werden täglich mehr – stetig weiterentwickelt. Noch ist es ein kleines Pflänzchen, aber es trägt schon erste Früchte und die Erntekörbe werden mit der Zeit voller werden.

Das Interview mit Carmen ist das erste einer Serie, in der Mitglieder des WNM vorgestellt werden. Ziel ist es, uns besser kennenzulernen und gegenseitig von unseren Lebens- und Berufserfahrungen zu profitieren.

Carmen, als Tochter eines spanischen Vaters hast Du eine ganz besondere Beziehung zu Spanien. Was bedeutet das Land für Dich?

Ich komme gebürtig aus Frankfurt. Dort ist mein Vater als Student der Liebe wegen hängen geblieben. Obwohl ich „deutsch“ aussehe, war ich in der Schule immer das Gastarbeiterkind und eine Außenseiterin. Das galt für meine Mitschüler und Lehrer und war eine sehr unschöne Erfahrung. Wenn wir in den Ferien nach Barcelona zur großen Familie meines Vaters gefahren sind, bin ich aufgeblüht. Spanien war immer mein „Herzland“ und Deutschland, das Land, in dem ich in die Schule gehen musste. In Spanien habe ich meine erste Kippe geraucht, mein erstes Bier getrunken, meinen ersten Mann geküsst. Dort hatte ich alle diese tollen Erlebnisse.

War das der Grund, warum Du nach Mallorca ausgewandert bist?

Nein. Mallorca war eigentlich nicht meine Insel. Ich bin meinem damaligen Mann gefolgt, der unbedingt hierher wollte, um unserer Ehe noch eine letzte Chance zu geben. Wir haben dann vier Jahre hier gelebt, zunächst in Artà und dann in Palma. Schlussendlich ist unsere Beziehung dann doch gescheitert und ich bin zurück nach Deutschland. Ich wollte unbedingt in eine Großstadt und bin mit meinem 13-jährigen Sohn nach Berlin gezogen.

Zurück gekommen bin ich dann erst viele Jahre später mit meinem jetzigen Mann Helge. Wir waren Ende 2019 im Urlaub in Artà. Als wir so über die Plaza geschlendert sind, kamen viele Erinnerungen hoch. Ich hatte hier ja auch gute Zeiten, habe u.a. als Geschäftsführerin im Parisienne und bei Dr. Ocker gearbeitet. Und dann standen wir vor der Immobilie, in der jetzt mein Laden ist, das Trece. Wir haben uns so in diese Immobilie verliebt, dass wir auf einem langen Spaziergang überlegt haben: Eigentlich kann Helge von überall arbeiten. Ich wollte aus meiner Position im Marketing für eine große Modekette raus und für mich alleine was „wursteln“. Der Gedanke war schon lange da. Somit war klar: Ich will hier und in dieser Immobilie meinen Traum verwirklichen. Dann ging alles ganz schnell. Im Februar 2020 war ich schon hier.

Du bist oft umgezogen und hast auch schon öfter den Beruf gewechselt. Wie kam es dazu?

Nach der Schule habe ich in Frankfurt eine Ausbildung zur Krankenschwester gemacht, allerdings nie in diesem Beruf gearbeitet. Mit meinem ersten Mann bin ich mit unserem einjährigen Sohn nach Stuttgart gezogen, da war ich 24, und habe dort als Tagesmutter gearbeitet. Es ergab sich dann die Möglichkeit, einen Kinderladen zu übernehmen, aus dem ich eine Kinder-Edelboutique gemacht habe, die sehr gut lief. Aber nach zwei Jahren war mir das zu langweilig und ich bin als Alleinerziehende wieder nach Frankfurt zurück. Dort habe ich in einer Frauen-WG gewohnt und in einer Boutique gejobbt. Über einen Bekannten bin ich dann in einer Werbeagentur gelandet. Ich hatte als junge Mutter als Produkttesterin für Procter & Gamble gearbeitet. Die Kontakte habe ich reaktiviert, konnte das Unternehmen für die Agentur gewinnen und habe große Marken wie Blendax, Always Ultra etc. betreut. Das war mit einem kleinen Kind aber auf die Dauer schwierig.

Wie ging es dann weiter?

Ich habe oft radikale Entscheidungen getroffen. Immer nach dem Motto ganz oder gar nicht. Also habe ich kurz entschlossen meine ganzen teuren Klamotten – dafür hatte ich schon immer eine Schwäche – verkauft, habe mir meinen Sohn geschnappt und bin mit ihm zwei Monate durch die USA gereist. Freunde von mir hatten eine Firma gegründet, die in den Staaten alte Levis 501 eingekauft und dann in Deutschland in den teuersten Boutiquen verkauft hat. Später dann auch Vintage Möbel und amerikanische Arbeitsbekleidung von Marken wie Carhartt oder Caterpillar. Da ging meine Karriere in der Modebranche richtig los. Sie haben dann „Endless Summer“, eine internationale Concept Store-Marke aufgebaut. Ich habe den Großhandel gemacht und später die „Endless Summer“-Filiale in Bad Homburg übernommen und hatte noch einen weiteren Laden. Richtig durch die Decke ging es damit als ich meinen zweiten Mann kennengelernt habe. Er hat unter dem Label Indiana Schmuck hergestellt, den ich in meinen Läden verkauft habe. Dann kam der Film „Der mit dem Wolf tanzt“ in die Kinos. Es war der Wahnsinn. Beide Läden habe ich nach sechs Jahren verkauft und bin mit meinem Mann und den mittlerweile zwei Kindern nach Berlin gezogen.

Nach zwei Jahren hatte ich aber Heimweh nach Frankfurt und wir sind wieder zurück dorthin. Ich brauchte einen neuen Job, mit dem ich die Familie ernähren kann. Durch meine Connection in die Modebranche wusste ich, dass man als Mode-Agent ziemlich gut verdient und so habe ich mir kurzerhand eine Untervertretung gesucht und hatte dann meine eigene Mode-Agentur. Sechs Jahre lang habe ich für das zu der Zeit angesagte Label Fornarina gearbeitet. Das war sehr erfolgreich, aber auch sehr selbstausbeuterisch.

Wenn Du das so erzählst, hört sich das sehr leichtfüßig an. Als ob sich immer das eine aus dem anderen einfach so ergeben hätte.

as hört sich vielleicht so an, war es aber nicht immer. Ich war zwischendrin auch immer mal wieder am Boden, pleite und wusste nicht, wie es weitergehen soll. Aber es musste ja weitergehen. Schließlich hatte ich Verantwortung für meine Kinder. Und ich war es seit meiner Teenagerzeit gewöhnt, viel zu arbeiten und anzupacken. Also habe ich die Ärmel hochgekrempelt, all meinen Mut zusammengenommen und habe teilweise ganz schön hoch gepokert. Ich habe mein Glück immer gesucht und es hat mich gefunden. Ich bin immer den richtigen Menschen im richtigen Moment begegnet. Das zieht sich durch mein Leben wie ein roter Faden. Ich glaube an Fügungen.

Woher hast Du immer die Kraft genommen, Dich Hals über Kopf in etwas Neues zu stürzen, quasi ohne Netz und doppelten Boden?

So bin ich halt. Ich mache etwas ganz oder gar nicht. Und wenn ich mir was in den Kopf gesetzt habe, etwas wirklich will, dann zieh‘ ich das auch durch. Nach meiner ersten Rückkehr aus Mallorca in Berlin hatte ich nach einem Monat einen Kinder Second Hand Laden im Prenzlauer Berg, ein Jahr später ein Café. Das wollte ich unbedingt an meinem 50. Geburtstag eröffnen. Habe ich geschafft, alles selber gemacht, Kuchen, Brot etc. Aber ich verausgabe mich dabei auch. Nach einem Jahr konnte ich einfach nicht mehr, davon abgesehen, dass das auch finanziell nicht besonders erfolgreich war. Ich hatte aber über einen Investor, Dr. Schauerte, für den ich auf Mallorca gearbeitet hatte, Kontakte in die Startup-Szene und habe dann in einem Startup in Marketing und Vertrieb gearbeitet. Da habe ich Helge kennengelernt. Später sind wir nach Hamburg gezogen, wo ich im Marketing eines Modelabels gearbeitet und gleichzeitig eine Ausbildung zur Yogalehrerin gemacht habe. Und dann kam Artà. Jetzt habe ich das Gefühl, ich bin angekommen. Ich konzentriere mich auf meinen Store, das Yoga-Studio – der Vermieter hat endlich dem Ausbau der ersten Etage zugestimmt – und das Women’s Network Mallorca.

Du hast die Gründung des WNM Women‘s Network Mallorca initiiert. Was ist Deine Vision für dieses Projekt?

WNM soll sich zu einem internationalen Netzwerk entwickeln. Für Frauen auf der Insel, aber auch darüber hinaus. Schon jetzt haben wir so viele Mitgliederinnen mit interessanten Lebensläufen und Berufserfahrungen, das hat sehr viel Potential. Das möchte ich für alle Mitgliederinnen nutzbar machen. Darüber hinaus soll sich WMN aber auch bei relevanten gesellschaftlichen Themen einbringen und zur Diskussion beitragen. Wir wollen kein elitärer, abgeschotteter Zirkel sein, sondern offen für alle, die dabei mitwirken wollen, Dinge voranzutreiben und zum Besseren zu verändern.

*(Buddhistische Weisheit)